Aus "Katastrophe“ lernen: Die Linken suchen nach Antworten - PARTEI SCHAUT AUFS WAHLERGEBNIS

Der Linken-Bundestagsabgeordnete Victor Perli aus Wolfenbüttel redet nicht lange drumherum: Das Ergebnis der Europawahl sei für seine Partei eine „Katastrophe“. Wie es weitergehen kann, darüber diskutierte er in Goslar mit der Basis. Von Oliver Stade Goslarsche Zeitung - Montag, 17.06.2024

, 16:00 Uhr

Wie geht es weiter mit der Partei „Die Linke“? Kreisvorsitzender Michael Ohse (l.) aus Goslar und der Bundestagsabgeordnete Victor Perli wollen darauf Antworten geben. Foto: Stade

Goslar. Die Stimmung ist alles andere als gut. Der Linken-Kreisverband Goslar, dem rund 60 Mitglieder angehören, fragt sich, wie es weiter geht nach dem Absturz bei den Europawahlen von 5,5 auf 2,7 Prozent und dem Triumph des Bündnisses Sahra Wagenknecht (BSW), das es gleich auf 6 Prozent geschafft hat. Für Ende voriger Woche hatte der Kreisverband also zur Mitgliederversammlung eingeladen, um zu hören, was die Basis denkt.

Auch Victor Perli ist gekommen, der Linken-Bundestagsabgeordnete aus Wolfenbüttel, der es 2021 trotz Scheiterns der Linken an der Fünf-Prozent-Hürde in den Bundestag schaffte, weil drei Kandidaten der Partei ein Direktmandat geholt hatten. Er erinnert am Freitagabend vor den knapp 20 Mitgliedern an die Spaltung. Die abtrünnige Sahra Wagenknecht hatte im Herbst 2023 nach einer quälend langen Zeit bekanntgegeben, eine eigene Partei zu gründen, einige Parteimitglieder folgten ihr. Viele hätten gedacht, jetzt kehre Ruhe ein und die Linke werde wieder erfolgreich, sagt Perli rückblickend.

Heftig geirrt

Zu denen, die sich seinerzeit heftig irrten, gehört Kreisfraktionssprecher Rüdiger Wohltmann. Wie Kreisvorsitzender Michael Ohse zeigte er sich seinerzeit erleichtert, dass Wagenknecht endlich offenbarte, was sie vorhat. Und er sagte voraus, ihr Projekt sei zum Scheitern verurteilt.

Auch an solchen Fehleinschätzungen zeigt sich, wie tief die Enttäuschung sitzt. Perli erwartet nun Antworten aus dem Bundesvorstand. Dessen Strategie sei ja „offenbar“ nicht aufgegangen. Damit meint er unter andrem, dass die Partei die Flüchtlings-Aktivistin Carola Rackete auf einen vorderen Listenplatz gehievt und auf die Themen Migration und Klima gesetzt habe.

Die Partei habe versucht, die Linke im „großstädtischen Milieu zu platzieren“, weil sie gespürt habe, dass die Menschen unzufrieden mit den Grünen seien. Davon habe die Linke profitieren wollen. Aber die Partei müsse vielmehr diejenigen ansprechen, „die sozial unsicher leben“. So sagt es auch einer von der Basis, der am Freitag ins „Hof-Café“ in die Okerstraße nach Goslar gekommen ist. Dabei bemängelt ein Linken-Mitglied, die Partei spreche nicht die Sprache derjenigen, „die wir ansprechen wollen“.

Das „S-Wort“

Um zu illustrieren, wie weit sich die Partei von ihren Wurzeln entfernt habe, sagt jemand, er habe den Eindruck, es gebe Partei-Versammlungen, auf denen „das S-Wort“ nicht mehr gesagt werden dürfe, gemeint ist wohl „Sozialismus“.

Die Runde diskutiert über die Herausforderungen bei den anstehenden Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg, über die Wahlerfolge von Rechtsaußen-Parteien in Europa und darüber, wie oft Sahra Wagenknecht in Talkshows auftritt und für sich und ihre Partei wirbt.

„Eine Katastrophe“

Verharmlost wird die Situation, in der sich die Linke befindet nicht. Die 2,7 Prozent seien „eine Katastrophe“, sagt Perli.

Wie kommt die Linke aus der Misere? Darauf geben der Bundestagsabgeordnete und Mitglieder aus dem Kreisverband viele Antworten: Mindestlohnbetrug, also die Bezahlung unterhalb des Grenzbetrags, sei ein Skandal. „Da müssen wir uns darum kümmern“, meint Perli. Außerdem müsse die Partei die älteren Wähler „stärker erreichen“. Peggy Plettner-Voigt, Kreisvorsitzende neben Michael Ohse, sagt: „Ihr müsst jetzt ins Handeln kommen.“ Und auch sie betont, die Frage der „sozialen Ungleichheit“ werde zu wenig thematisiert.

Ähnlich fällt die Diagnose von Rüdiger Wohltmann aus: „Wir sind die Partei der sozialen Gerechtigkeit und für den kleinen Mann.“ Aber der klage in seinem Viertel eben auch über die Folgen zunehmender Migration. Auf die Fragen, die ihn beschäftigen, müsse sich die Partei konzentrieren.

Delegierte mit Auftrag

Bei der Frage, was konkret getan werden könne, empfiehlt Victor Perli außerdem, den Bundesparteitag im Oktober in den Blick zu nehmen. Delegierte sollten gezielt mit konkreten Fragen und Anliegen zu der Versammlung geschickt werden.

Es gibt aber auch einigermaßen positive Aspekte. In den vergangenen beiden Jahren habe der Kreisverband 15 neue Mitglieder registriert. Seit Januar habe es acht neue Mitgliedschaften gegeben. Die Zahl der Austritte liege nur etwas höher, berichtet Vorsitzender Ohse. Damit sei die Mitgliederzahl von 66 auf 61 gesunken und beinahe stabil.